Interview„In den Bergen fühl ich mich zu Hause“

Schneller, höher, besser werden. Das ist das Motto von Marc Grün. Seit sechs Jahren arbeitet der 46-Jährige bei Uhlmann und erklimmt in seiner Freizeit extrem hohe Berge - zuletzt den über 8.000 Meter hohen Manaslu in Nepal. Was ihn daran reizt und was es ihm für seine Arbeit bringt, erzählt er hier.

Marc, du bist in unserem Ange­bots­team für Sonder­ma­schinen zuständig. Und auch dein Hobby ist alles andere als gewöhn­lich. Wie kamst du zum Extrem­berg­steigen?

Die Berg­stei­gerei mache ich jetzt schon seit über 20 Jahren. Ich liebe die Natur und das Gefühl von Frei­heit, das einem die Berge geben. Ange­fangen hat es mit leichten Touren im Allgäu und in Öster­reich. Da habe ich gemerkt, dass ich mich in den Bergen einfach wohl­fühle, sie mir guttun – sie sind wie mein Zuhause. Irgend­wann wurden die Berge dann immer höher, die Touren länger und schwie­riger und schließ­lich die Ziele inter­na­tio­naler. Es faszi­niert mich, was die Höhe mit uns Menschen macht. Wenn man mal die 5.000-Meter-Marke über­schritten hat, dann passieren inter­es­sante Dinge mit unserem Körper und auch Geist. Das ist span­nend und gerade in Verbin­dung mit sport­li­cher Leis­tung sehr aufre­gend. Dazu die Gefahren des Berg­stei­gens, welche natür­lich auch ein Stück weit ihren Reiz haben …

Auf welchen Bergen hast du deine Leiden­schaft bis jetzt ausge­lebt?

Die Zugspitze in Deutsch­land und der Groß­glockner in Öster­reich waren vor vielen Jahren meine ersten höheren Berge. Mit der Zeit kamen dann viele bekannte hohe Berge in den Alpen hinzu, inklu­sive dem höchsten: dem Mont Blanc in den West­alpen in Frank­reich. Meine Leiden­schaft führte mich dann irgend­wann auf meinen ersten 6.000er, den Stok Kangri in Indien. Später ging es zum höchsten Berg des ameri­ka­ni­schen Konti­nents, dem Acon­cagua in Argen­ti­nien, und auf den höchsten Berg Nord­afrikas (Jebel Toubkal, Marokko). Später dann klet­terte ich am Pik Lenin in Kirgi­si­stan.

Einem ambi­tio­nierten Berg­steiger wie mir kommt fast auto­ma­tisch irgend­wann ein 8.000er in den Sinn.

Marc Grün

Vor zwei Jahren sollte es mein erster 7.000er sein, dem Himlung Himal in Nepal. Und da ich auf diesen mehr­wö­chigen Expe­di­tionen merkte, dass ich mit den widrigen Bedin­gungen und der dünnen Luft umgehen kann, kommt einem ambi­tio­nierten Berg­steiger wie mir dann fast auto­ma­tisch irgend­wann ein 8.000er in den Sinn. Und so ging es im vergan­genen Jahr wieder nach Nepal, zum Manaslu, dem acht­höchsten Berg der Welt.

Wie findet man denn heraus, dass man gut im Extrem­berg­steigen ist?

Zunächst ist man ein ganz normaler, irgend­wann dann viel­leicht ein guter Berg­steiger. Will man dann mehr, probiert man extre­mere Sachen aus, ohne Gewähr, dass diese auch gleich auf Anhieb klappen. So machte ich auf meiner ersten Expe­di­tion einige Fehler, die mich damals den Gipfel kosteten, mir aber jede Menge Erfah­rung und Wissen zuspielten. Das heißt, mit jeder Tour wird man erfah­rener und besser, aber sagen tut einem das keiner. Hohe Berge besteigen sollte man sowieso nur, wenn man auch recht schnell gelernt hat, Gefahren richtig einzu­schätzen und im Zweifel auch mal umkehrt, ohne den höchsten Punkt erreicht zu haben.

Wie hast du dich auf die Bestei­gung des Manaslu vorbe­reitet?

Um mich körper­lich fit für den Berg zu machen, bin ich oft einfach ins Allgäu oder nach Öster­reich in die Berge gefahren. Klas­si­sches Trai­ning war, von morgens bis abends den Berg hoch­zu­rennen, und mit der Seil­bahn wieder runter – mit Gewichts­man­schetten an den Füßen und einem schweren Ruck­sack auf dem Rücken, um die Bedin­gungen später auf Expe­di­tion möglichst gut zu simu­lieren. Da kamen dann schon mal 4.500 Höhen­meter zusammen – teils bei Dauer­regen, was für die mentale Vorbe­rei­tung aber nur hilf­reich war. Als ich kurz vor Start meiner Expe­di­tion die Zugspitze dann hoch und wieder runter in wenigen Stunden statt der ursprüng­li­chen Zwei­ta­ges­tour meis­tern konnte, zeigte mir mein Körper, dass er soweit war.

Mental habe ich mich durch Atem­übungen, Medi­ta­tion und Yoga vorbe­reitet. Bei einer 8.000er-Besteigung können unvor­her­ge­se­hene Dinge passieren, und man muss davon ausgehen, dass man etwas sieht, was man nicht sehen will. Genau auf diese Situa­tionen muss man sich mental vorbe­reiten, damit man im Falle eines Falles ruhig bleibt und nicht umge­worfen wird. Zuletzt muss so eine Expe­di­tion natür­lich geplant und orga­ni­siert werden. Die Kosten waren enorm, unter anderem durch die benö­tigte Spezi­al­aus­rüs­tung, und der Aufbau eines Spon­so­rings durch inter­es­sierte Firmen war unaus­weich­lich.

Wie verlief die Expe­di­tion auf den Manaslu dann?

Nach meiner Ankunft in der Haupt­stadt Nepals, Kath­mandu, und Orga­ni­sa­tion von letzten Dingen ging es los mit dem Bus an den Rand des Hima­layas. Anschlie­ßend fuhren wir mit Gelän­de­fahr­zeugen einen Tag lang ins Gebirge rein, bis die „Straße“ aufhörte. Von dort aus star­tete dann das Trek­king Rich­tung Basis­lager des Manaslus. Wir waren neun Tage unter­wegs in wunder­barer Land­schaft durch Wälder, Schluchten, durch Täler und über Pässe. Über­nachtet haben wir in kleinen Dörfern, meist bei einhei­mi­schen Fami­lien, bis wir letzt­end­lich im Basis­lager des Manaslus auf circa 4.800 Metern ankamen. Dort haben wir uns dann einge­richtet und uns auf den Berg vorbe­reitet.

In der Todes­zone kann ein Mensch nur eine bestimmte Zeit lang über­leben.

Marc Grün

Nach zwei Tagen Rast begannen die Akkli­ma­ti­sie­rungs- und Versor­gungs­touren in die Hoch­lager 1 auf 5.800 Metern, Hoch­lager 2 auf 6.300 Metern und Hoch­lager 3 auf 6.800 Metern. Auf ein poten­ti­elles Hoch­lager 4 auf ca. 7.500 m haben wir bewusst verzichtet, weil das mit einer enormen Kraft­an­stren­gung verbunden gewesen wäre, dort ein Lager einzu­richten und das ganze Mate­rial hoch­zu­schaffen. Auf 7.500 Metern beginnt auch die soge­nannte Todes­zone. Ab dieser Höhe ist es einem mensch­li­chen Körper nicht mehr möglich, länger als eine bestimmte Zeit zu über­leben. Deshalb haben wir uns entschieden, den Gipfel später von Hoch­lager 3 aus in Angriff zu nehmen. Nach unge­fähr zwei Wochen war dann die Hoch­la­ger­kette einge­richtet und wir gut akkli­ma­ti­siert, um den Gipfel­sturm zu wagen. Nach einer erneuten mehr­tä­gigen Ruhe­pause im Basis­lager ging‘s dann los!

Die Expe­di­tion star­tete in Nepals Haupt­stadt Kath­mandu, wo Marc Grün tradi­tio­nell mit Blumen­kette empfangen wurde.

Mit einem Gelän­de­wagen ging es schließ­lich ins Gebirge.

Die erste Woche bestand aus entspanntem Trek­king Rich­tung Basis­lager des Manaslu.

Der erste Höhe­punkt der Expe­di­tion war die Über­que­rung des Larke Passes mit seinen 5.106 Metern.

Marc Grün stärkt sich mit seinem Klet­ters­herpa im Hoch­lager 3. Essen zube­reiten ist auf 6.800 Metern gar nicht so einfach!

In Rich­tung Gipfel … Hast du ihn erreicht?

Die Bedin­gungen am Manaslu waren letztes Jahr sehr schwierig. Der Glet­scher hatte sich in den Monaten zuvor so entwi­ckelt, dass es relativ viele steile Aufschwünge gab, die es zu über­klet­tern galt. Teil­weise waren diese 80-90° steil, und teils auch über­hän­gend. In einer solchen Höhe ist das sehr anspruchs­voll und kräf­te­zeh­rend. Wir sind dann die zuvor aufge­baute Hoch­la­ger­kette Lager für Lager hochgestiegen/geklettert.

Am späten Vormittag des dritten Tages sind wir in Hoch­lager 3 ange­kommen, haben uns dort ein paar Stunden ausge­ruht und schließ­lich abends um 18 Uhr den Gipfel­vor­stoß gestartet. Das Wetter war aufgrund der Kälte und eines Sturmes kritisch. Hier traten dann auch zum ersten Mal ernst­hafte Probleme auf. Der Sauer­stoff-Regu­lator meines Klet­ters­herpas war defekt bezie­hungs­weise einge­froren. Somit musste er ohne zusätz­li­chen Sauer­stoff klet­tern, was ihm in dieser Höhe logi­scher­weise sicht­lich Probleme berei­tete. Er wurde immer lang­samer und schwä­cher und ich musste oft lange auf ihn warten, was aufgrund der Kälte nicht einfach ist.

Wir waren mitten in der Todes­zone und kamen schlecht voran. Seine Kräfte schwanden und waren auf knapp 8.000 Metern am Ende. Er konnte nicht mehr weiter­steigen und war sehr geschwächt. Sein Leben war akut gefährdet, sodass ich mich dazu entschied auf den Gipfel zu verzichten und zu versu­chen, ihn irgendwie sicher nach unten zu bringen. Hilfe konnten wir keine erwarten, es waren sonst keine weiteren Berg­steiger in der Nähe. Wir haben uns dann in insge­samt 17 Stunden nonstop Klet­terei zurück bis ins Hoch­lager 3 runter gekämpft und haben dort eine sehr unge­müt­liche und stür­mi­sche Nacht in 6.800 Metern verbracht.

Was ist dann passiert?

Am nächsten Tag sind wir Rich­tung Basis­lager abge­stiegen und dort nach einigen Stunden wohl­be­halten ange­kommen. Aufgrund des Winter­ein­bru­ches und der nicht mehr vorhan­denen Logis­tik­kette war klar, dass es keinen zweiten Gipfel­ver­such geben wird. Nach einer weiteren Nacht Pause haben wir vom Basis­lager aus dann das Trek­king zurück in die Zivi­li­sa­tion ange­treten, was nach den zurück­lie­genden Wochen und vier Tagen Marsch im Dauer­regen sehr anstren­gend war. Nach zwei weiteren Tagen mit Gelän­de­fahr­zeugen sind wir erschöpft, aber doch nicht unglück­lich wieder in Kath­mandu ange­kommen … eine heiße Dusche, saubere und trockene Klamotten und ein kühles Bier waren ein Segen.

Wie stehen deine Familie und Freunde zu deiner – nicht ganz unge­fähr­li­chen –Frei­zeit­be­schäf­ti­gung?

Gerade mein engster Kreis weiß sehr genau, dass die Berge meine Leiden­schaft sind, es mir dort einfach gut geht und ich mich dort zu Hause fühle. Ich mache mit meinen Freunden auch gele­gent­lich gesel­lige Touren in den Bergen. Da geht‘s dann nicht um Höhen­meter oder Kilo­meter, sondern um die gemein­same Zeit. Nichts­des­to­trotz ist meine Familie aber natür­lich schon besorgt, wenn es wieder los geht auf große Tour. Und sie sind natür­lich jedes Mal mehr als froh und beru­higt, wenn ich nach mehreren Wochen Funk­stille heil und gesund nach Hause komme.

Der Manaslu-Gipfel blieb dir verwehrt. Wie gehst du mit dem Thema Erfolg und Schei­tern um?

Ich sehe eine Berg­be­stei­gung und auch Expe­di­tion immer als Gesamt­paket. Es geht mir nicht nur darum, den Gipfel zu errei­chen. Was drum rum passiert, die Anreise, das Trek­king zum Berg, das Kennen­lernen neuer Menschen und Kulturen, neue Erfah­rungen et cetera gehören für mich genauso dazu. Allein deshalb hat sich gerade die Manaslu-Expe­di­tion schon in den ersten zehn Tagen gelohnt, bevor wir über­haupt auf den Berg gestiegen sind. Der Gipfel ist wichtig für mich, aber nicht alles und schon gar nicht um jeden Preis.

In der Küche einer einhei­mi­schen Familie trinkt Marc Grün mit den Trägern, die ihn auf seiner Expe­di­tion begleiten, einen Tee.
 
Bringt dir das Extrem­berg­steigen auch etwas für den Beruf?

Ja, defi­nitiv. Jede Berg­tour verän­dert mich. Die Berge sind für mich wie eine Schule fürs Leben. Sie lehren mich Dinge wie posi­tive Ausein­an­der­set­zung und Durch­hal­te­ver­mögen. Oder das Vertrauen, dass wenn ich genü­gend Energie und Kraft in ein Projekt rein­stecke, alles schaffen kann, was ich anpacke, auch wenn die Situa­tion schwierig ist. Ich glaube, das spüren auch meine Vorge­setzten, dass ich durch das Berg­steigen gewisse Eigen­schaften entwi­ckelt habe, die mich vorwärts­bringen und auch in meinem Geschäfts­alltag hilf­reich sind. Ich ziehe beispiels­weise komplexe Projekte durch – trotz aller auftre­tenden Schwie­rig­keiten. Außerdem habe ich gelernt, zu prio­ri­sieren. Was ist hier und jetzt gerade wichtig, und was viel­leicht nicht? Wo muss meine Konzen­tra­tion jetzt hin? Im Geschäfts­alltag sehr hilf­reich. Auch das lehren einem die Berge.

Du nutzt deinen Urlaub für deine Berg­touren. Wie erholst du dich trotzdem?

Die Berge sind für mich pure Erho­lung. Nicht unbe­dingt eine mehr­wö­chige Expe­di­tion, aber einfache Touren alleine oder mit Freunden auf jeden Fall, beispiels­weise in den Alpen. Nur zu Hause rumsitzen kann ich gar nicht, ein biss­chen was mache ich immer. Nach der Manaslu-Expe­di­tion war ich lange körper­lich und geistig erschöpft, das war sozu­sagen die Belas­tung nach der Belas­tung. Da helfen Entspan­nungs­übungen und Yoga. Die Kunst ist es, in der hekti­schen Welt von heute mit vollen Termin­ka­len­dern, die kurzen Zeiten für eine Erho­lung optimal zu nutzen.

Erfährst du Unter­stüt­zung von Uhlmann?

Uhlmann als Arbeit­geber möchte ich da wirk­lich ein großes Kompli­ment machen. Ich konnte nicht erwarten, dass sie ‚Hurra‘ schreien, als ich ankün­digte, mehrere Wochen weg zu sein, um auf einen 8000er im fernen Hima­laya zu steigen. Sie haben das aber stets mit Begeis­te­rung aufge­nommen und mich unter­stützt, wo es nur ging. Das ist nicht selbst­ver­ständ­lich, und ich bin sehr dankbar darüber.

Mit Uhlmann im Hoch­lager 1 auf 5.800 Metern (im Hinter­grund der Ostgipfel des Manaslu).
 
Wie geht’s jetzt weiter für dich? Ruft dich schon ein weiterer Berg?

Ein paar klei­nere Berge haben mich seit meiner Rück­kehr aus Nepal durchaus schon gerufen. Hinsicht­lich den ganz hohen Bergen dieser Welt habe ich schon während meines Abstiegs vom Manaslu gespürt, dass meine Mission dort oben vermut­lich noch nicht ganz vorüber ist. Aber so eine Expe­di­tion hängt von vielen Faktoren ab, die passen müssen. Und jünger werde ich ja auch nicht, und ob man sich das ein weiteres Mal antun möchte, muss schon gut über­legt sein. Ein paar Ideen geis­tern auf jeden Fall aber schon in meinem Hinter­kopf …

Vielen Dank für das Gespräch, Marc!
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